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Von: querstand

@ eggy: Ein kleiner Suchmaschinentrip durch die ersten Metanoia-Kritiken entpuppt sich mal wieder als schmal bis x-mal wiederverwertet. So schreibt der gleiche Autor für die Berliner Morgenpost genauso für das Hamburger Abendblatt wie die Münsterländische Volkszeitung, es kursiert eine dpa-Meldung, eine eigenständige Kritik in der FR, etc. Weitere Meldungen erscheinen hoffentlich noch diese Woche in den Tagesblättern, Wochen- und Monatszeitungen werden wohl folgen, hoffentlich nicht nur Doppel- oder Tripelverwertungen.

Es lohnt sich auf alle Fälle, noch ein wenig zu warten. Das ist natürlich dieses kleine asynchrone Moment zwischen Blogmeldungen und Noch-Papierblättern: eigentlich dürfte ein Blog erstmal nur Blogmeldungen auswerten, Papierausgaben 24 Stunden Zeit einräumen, selbst wenn sie zugleich im Netz auftauchen. Man sitzt zu oft in der Eile den dpa- und ähnlichen Meldungen auf.

Die kleine mittägliche Netz-Presseschau erbrachte aber wieder einige andere Ungereimtheiten: z.B. sind 90% in der Tripelverwertung der Berliner Morgenpost nur der Headline, dem Einleitungsartikel wie allen anderen Dingen ausser der Musik gewidmet. Diese bekommt zu dieser Uraufführung nur 10% eingeräumt. Kein Wort dazu, wie die Musik umgesetzt worden ist. Selbst die Szene bekommt max. 20% Aufmerksamkeit zugestanden, 20% dem Unternehmen „Ausweichquartier“ Schillertheater, 50% dem Umstand von Schlingensiefs Tod.

In den letzten Wochen wurde durchaus Jens Joneleit seitens der Lindenoper in den Mittelpunkt gestellt. Hat wohl nichts genutzt! Es bleibt also der Eindruck einer „Schlingensief-Oper“, keiner „Joneleit-Uraufführung“! Dies mag natürlich an der alles überstrahlenden Person Schlingensief liegen, dass ist allerdings aber immer auch ein Quentchen „Regietheater“, dass nach Johannes Kreidler das Musiktheater noch viel stärker durchdringen sollte. Damit meint Kreidler wohl v.a., wie Musik selbst an den „Stoff“, die „Aufgabenstellung“ herangeht. Vielleicht liegt hier das Problem nicht nur bei der Presse und dem Faktor „grosser, erst verstorbener Theatermacher“. Es könnte auch ein wenig in der Unbestimmtheit der Opernmusik selbst liegen, im Libretto die beide weniger eigenständig als Oper denn viel mehr als Theatermusik und Text zu einem vordergründigen Regieunternehmen gedacht sind. Ich muss leider mal wieder an Bernd Löbes Aussagen zu Joneleit denken, der in ihm einen Menschen sieht, der sich was sagen lässt, der eher unbewusst einen tönenden Freiraum für die Musik lässt, der bewusst für sich der Produktion fügende Musik angefragt wird. Erstaunlich ist, wie ähnlich selbst 30% der Musik einräumende Besprechungen bei Joneleit sich gleichen, egal ob in Berlin oder München: „eruptive Bläser“, „Glissandi“, „massierte Akkorde“. Das klingt erstmal nach Xenakis oder Rihm, v.a. nach kompositorischen Allerweltsgetöse. Garantiert setzt Joneleit das in einem längeren Prozess, hat sich darin bewusst weiterentwickelt. Irgendwie klingen solche Zuschreibungen immer auch nach Filmmusik, die zwar passen muss, aber in ihrer Machart durchaus kompositorische Mängel aufweisen darf ohne zu stören. Was ist an solchen Beschreibungen der Opernkritik nun eine echte Besprechung von Joneleits Musik? So kann man daraus folgern, dass die Autorschaft der Musik in diesem Fall eigentlich unwichtig ist, die Wahrnehmung all dieser „Opernweltler“, denen man eigentlich eher Ohren als nur Augen zuspricht, nur vom Hörensagen der Produktionsumstände, dem Nichtgeschehen auf der Bühne geleitet wird. So kein Wunder, dass diese selbst den Fall Nagano in München zum Ärgernis 2010 erklären – ohne die Mängel (kein Sängerdirigat, noch grössere Unbeliebtheit im Hause als der Intendant) dieses Dirigenten als Operndirigent zu würdigen, die leider die Vorteile (informierte Aufführungspraxis, Kleinstdetailarbeit), die Wiener Reimann-Medea-Uraufführung – so sehr ich Reimann schätze – zum alleinbestimmenden Neue-Musiktheaterereignis küren, wie es Reimann, Rihm, Henze und Widmann eigentlich immer automatisch widerfährt.

Das Wahrnehmungsproblem liegt dennoch auch bei der Musik selbst, die einfach zu jeder Art von unbestimmter „Handlung“ passen könnte. Dass es im Stillen dennoch sehr aussagespezifisch zugehen kann, beweisen gerade Lachenmann und teilweise auch der hier im Blog zuletzt thematisierte Sciarrino, wo es auch Eruptionen und Glissandi gibt, dennoch der Wortschatz selbst in 10%-Basprechungen ausgreifender ist als hier. Wenn man am 3.10.10 am Radio mithörte, wurde man übrigens dezidiert vom RBB-Sprecher auf die Stille und Eruption hingewiesen, auf dass der Normalhörer nicht erschrecke oder sein Empfangsgerät für kaputtgegangen halte. Jetzt also amtlich, dass Neue Musik nicht technikschädigend sei, aber doch ganz kaputt sein könne, quasi im Umkehrschluss.

Wie war nun die Musik? Sehr kraftvoller, auffahrender Orchesterbeginn, dann sprechend-singender Chor dazu, dann weniger Kontraste als im kurzen Vorspiel. Ab Minute 12 wurde es dann stiller, kurz später wieder der erste Duktus, mit Schauspielertexten. Ein leises Sopransolo lässt aufhorchen, so weiter. Ab Minute 21 ein Zwischenspiel, ähnlich dem Beginn, tatsächlich Klangballungen allerorten, überhängende Geigen, wie in der Introduktion, effektvoll, sich in der Wiederholung allerdings ein wenig abnutzend. Danach wieder Schauspielerruhe, wieder kleine Soli, stehende Chorklänge, wieder Orchesteragilismen. Dazu immer der von Sängern gesungene, leider oft auch gesprochene Text, der eigentlich nur bei Wuttke gut klingt, allgemein an die Texte der letzten Schlingensiefstücke erinnert, ohne dessen subjektive anklagende Kraft. Ab Minute 40 wird es anstrengend, bei 1h10 dann ein letzter Aufbruch, wieder viel Wuttke, sehr kurzes Orchesterende.

Wie man merkt, ausgesprochen orchestral, was wohl eine Lust Joneleits zeigt, für Barenboim und die Staatskapelle zu schreiben. Das wirkt dann auch ganz staatstragend, ist in der Hinsicht oft sehr gut gemacht, als Theatermusik geeignet, weniger eine Musiktheatermusik, die zwar gestisch den Text unterlegt, daraus aber dann nicht eigene kleine Blüten treibt jenseits von drohenden Bläsern und Streichern, den „Abbruch“ pflegt. Gäbe es eine gültige zeitgenössische Figurenlehre, dann wären hier viele erfüllt, aber eher abgearbeitet denn theatral notwendig. Die Gesangsstimmen, die wahren Synthetiker zwischen Handlung oder Nicht-Handlung, Text und Musik sind bis auf ganz wenige Momente im üblichen Neue-Musik-Duktus gehalten, ohne wirklich was herausschreien zu haben, was solch eine Stimmführung sonst suggeriert. Man wünscht sich viel Orchestermusik danach, ggf. Kammermusik. Im RBB folgte dann postwendend Joneleits 6. Streichquartett (warum schreibt er noch keine „Strauchquartette“ – wollte es just wieder versehntlich tippen…), Barenboim mit der Eroica.

Fazit 1: Orchester zum Teil sehr schön geführt, auf Dauer doch etwas monoton. Gesangsstimmen lassen viele Fragen offen, da ist noch viel zu lernen. Allgemein erschliesst sich selten eine Notwendigkeit von Musik und Aktion, wenn es rein verdoppelt, müsste es noch viel farbiger werden. Das Radio war übrigens danach noch intakt, danke RBB!

Fazit 2: Jens Joneleit wird mit 42 noch als junger Komponist tituliert. Janacek war da wohl noch ein „Youngster“ (was so auch nicht stimmt…), Mahler hatte schon das Gros seiner Werke komponiert, Stockhausen wurde esoterisch. Wir freuen uns also Alle auf unsere Karrieren ab 67…

Fazit 3: langsamer auf die Online-Presse reagieren.

Fazit 4: Wie war nun die Henze-UA? Der kann ja wirklich, wie er will und wird wohl viel zu gering ernst genommen. Joneleit hätte auf alle Fälle eine echte Regie verdient, einen besseren Text, so gut Pollesch als Theatertexter für den eigenen Gebrauch auch sein mag, hier zu wenig opernhaft bzw. singtauglich, vielleicht auch ein konkreteres Stück. Vielleicht wäre da die Presse stärker gefordert gewesen. K. Meyer mag nun über Rihm und Konsorten vpm Leder ziehen und nicht wirklich Recht haben. Was aber Metanoia wohl zeigte: wenn das starke Zugpferd fehlt, das der „Inhalt“ qua Existenz ist, müsste die eigentliche Stückessenz viel stärker sein. Was will aber die ewige Unbestimmtheit der Neuen Musik ausser „Tragödie des Hörens“ sein? Man vergesse nie die „Paukenschläge“ Nonos, der erst später verstummte. Heute schweigen die Musiktheaterschreiber viel zu oft von der ersten Oper an oder verzetteln sich in Nettigkeiten.

Gruss,

Alexander Strauch


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